Freitag, 18. Juli 2014

Die Berlinreise von Hanns-Josef Ortheil


Kurzbeschreibung
Anfang der sechziger Jahre hat Hanns-Josef Ortheil zusammen mit seinem Vater eine Reise in das geteilte Nachkriegsberlin unternommen. Es ist eine Reise zurück an die Orte, an denen sein Vater und seine Mutter als junges Paar während des Zweiten Weltkriegs gelebt haben. Geduldig und fasziniert hört er zu, was der Vater ihm von dem Leben damals erzählt. Instinktiv begreift er, welche Bedeutung Berlin für das Leben seiner kleinen Familie hatte und für ihn immer noch hat. Tag für Tag notierend und schreibend, sucht der gerade einmal zwölfjährige Junge sehnsüchtig nach einer Verbindung zu dieser Welt.

Im Sommer 1964 reist der damals zwölfjährige Hanns-Josef Ortheil mit seinem Vater nach Berlin. Wenige Jahre nach dem Mauerbau und ein Jahr nach Kennedys Berlin-Besuch führt der Berlin-Aufenthalt Vater und Sohn die Gegenwart des Kalten Kriegs vor Augen und wird gleichzeitig zu einer Zeitreise in die Vergangenheit des Zweiten Weltkriegs. Im Oktober 1939 waren die Eltern frisch verheiratet aus einem kleinen Westerwald-Ort in die damalige Reichshauptstadt gezogen, wo der Vater bei der Deutschen Reichsbahn als Vermessungsassessor tätig wurde und wo sie bei Luftangriffen ihr erstes Kind verloren. Tag für Tag erkunden Vater und Sohn die Spuren dieser Zeit, besuchen die frühere Familienwohnung, treffen Bekannte und Freunde und lesen die Haushaltsbücher, die die Mutter in den Kriegsjahren geführt hat. Über seine Eindrücke schreibt der Zwölfjährige ein in seiner Art unvergleichliches Reisetagebuch, in dem er auf dramatische Weise vom Nachempfinden der Vergangenheit am eigenen jungen Körper erzählt.

Verlag: Luchterhand Literaturverlag
Seiten: 288 Seiten 
Buchreihe: nein
Erscheinungstermin: 26. Mai 2014
Preis  € 16,99
Widmung des Buches...
Für Papa - zu Weihnachten 1964 - von seinem Bub

Der erste Satz
"Zum ersten Mal bin ich eine ganze Nacht lang mit einem Zug unterwegs."

Cover/Gestaltung
Irgendwie unscharf, so mein erster Eindruck über das äußere Erscheinungsbild des Buches. Und genau das ist es auch, die Schrift ist gestochen klar, wohingegen die fliegenden Vögel vor einem verschwommenen Hintergrund herumflattern…

Optisch allein ein wundervolles Buch - mit abgerundeten Ecken und auf angenehmem Papier gedruckt!

Meine Meinung über das Buch
Über eine Bekannte erhielt ich doch eher zufällig dieses Reisetagebuch von Hanns-Josef Ortheil. Ich muss zugeben, dass ich zunächst ein wenig skeptisch war, ob das denn wohl ein Buch für mich wäre. 

"Es war seltsam, und ich kann es nicht gut erklären. Denn wie soll ich es beschreiben, was ich in den Straßen des Ostens sah? Alles sah sehr anders aus als im Westen und ein wenig so wie in Zeitlupe oder wie im Traum ohne Farben. Die Menschen waren viel ruhiger, und sie gingen auch langsamer und so, als hätten sie eigentlich kein dringendes Ziel. Es war nicht verschlafen, das nicht, höchstes ein wenig.

Schnell war ich jedoch überzeugt und konnte mich völlig in die Geschichte hinein begeben. Und der Schreibstil in Verbindung mit der Geschichte aus Sicht eines zwölfjährigen Jungen war so interessant und klar, dass ich es an einem Tag durchgelesen hatte. Immer wieder werden kleine Textpassagen, die die Aufzeichnungen Ortheils von damals aufzeigen, eingedruckt, die mich doch sehr oft zum Schmunzeln, wenn nicht sogar zu lautem Lachen verleitet haben.

Mehrfach hatte ich meine eigene Tochter vor Augen, die annähernd das gleiche Alter hat, wie Ortheil zur damaligen Zeit und ich fragte mich, ob sie denn vielleicht ähnliche Betrachtungsweisen und Formulierungen wählen würde, wie es der (damalige) Junge getan hat. 
Hanns-Josef Ortheil liest übrigens zur Zeit seiner Berlinreise Karl May und stellt immer wieder unterhaltsame Vergleiche beispielsweise zu Old Shatterhand her, wirklich spaßig!

Auch der Vater von Ortheil wird so sympathisch beschrieben, dass es wirklich Spaß machte, die Berlinreise der beiden zu verfolgen. Voller Herz, wie auch der Vater, scheint ebenfalls die Beziehung der beiden zueinander zu sein - keinesfalls oberflächlich und wunderbar unterhaltsam! Ganz anders, als ich mir das zunächst vorgestellt hatte! Ebenso die für den Jungen eher langweiligen Zusammentreffen mit einem alten Freund des Vaters werden aus seiner Sicht so treffend beschrieben, dass ich mir wirklich gut vorstellen konnte, wie er sich in der damaligen Zeit gefühlt hat! Und das wird in einer lustigen Art doch sehr überzeugend vermittelt.

Nun bin ich gespannt - ein Buch von Ortheil liegt noch auf meinem Stapel, "Die große Liebe" - wie sich das nächste Buch denn entpuppt oder ob ich doch eher den Worten des kleinen Jungen "verfallen" war….

Über den Autor  
Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, darunter dem Thomas-Mann-Preis der Hansestadt Lübeck und zuletzt dem Stefan-Andres-Preis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

Meine Bewertung
5 von 5 Punkten 

2 Kommentare:

  1. Das klingt wirklich sehr interessant und wenn es von dir die Höchstpunktzahl bekommen hat, muss ich es auch ganz dringend einmal lesen ;)
    Eine wirklich schöne Rezension ♥
    Liebe Grüße und noch ein schönes Wochenende!
    Nora

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    1. Das war einfach mal ein völlig anderes Buch - und durch die Sicht eines Kindes wirklich gut und auflockert geschrieben! Reinlesen lohnt sich!
      Danke für die Blumen,
      liebe Grüße mit vielen Sonnengrüßen von
      Olivia

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